Die bürgerlich gewordenen Salons der Juli-Monarchie hatten gegen 1835
die Musik für sich entdeckt: so etwa die Salons der Gräfinnen Merlin
oder Apponyi, der Prinzessin Belgiojoso oder der Mme Orfila. Während
der Fastenzeit 1838 zählt Le Siècle 884 Konzerte und während
des Monats April 1840 durchschnittlich 35 Konzerte pro Tag. Während
dieser Zeit lassen sich die größten Virtuosen - Chopin, Liszt,
Paganini, Kalkbrenner - in Paris nieder, um hier ihren Ruhm zu
festigen. Die Leidenschaft für mondäne Soireen lebt mit der
Amtsübernahme des Prince-Président wieder auf und setzt sich
während des gesamten Second Empire, dem zweiten französischen
Kaiserreich, fort. Künftig geben vor allem die Salons der wichtigsten
Würdenträger des Regimes den Ton an: die Salons der Fould, Walewski,
Morny und Haussmann. Einer der wegen seiner musikalischen Leistungen
bemerkenswertesten Salons ist der des Grafen Emilien de Nieuwerkerke.
Dieser war von 1849 bis 1870 Generaldirektor der Nationalmuseen
beziehungsweise der späteren Kaiserlichen Museen, Kustos, dann
Oberkustos der Kunstwerke des Kaiserhauses und erklärter Liebhaber der
Prinzessin Mathilde, einer Kusine von Napoleon III.
Nieuwerkerke stand seit etwas mehr ais einem Jahr an
der Spitze des Louvre, als er unter dem Personal des kaiserlichen
Hauses einen jungen Musiker entdeckte, Jules Pasdeloup. Pasdeloup war
Schüler von Zimmermann gewesen und hatte 1834 den ersten Preis des
Conservatoire für Klavier erhalten. 1848 war Pasdeloup in die
Verwaltung eingetreten und war nun Verwalter des Palais de
Saint-Cloud. Von 1851 bis 1870 organisierte er im Auftrag von
Nieuwerkerke jedes der intimen musikalischen Freitagskonzerte, die
gewöhnlich in der Fastenzeit im Louvre gegeben wurden. Bald fasste der
Salon die immer zahlreicher werdenden Besucher nicht mehr. Die Akustik
ist eher bescheiden, besonders wegen der Tapisserien von Beauvais,
welche die Wände bedecken. Um die Mängel zu beseitigen, lässt man im
Februar 1854 für das Klavier eine Estrade errichten. Die
Abschlussarbeiten im Louvre durch Lefuel zwingen den Direktor, seinen
Salon 1857 zu schließen.
Am 22 Januar 1958 leben die Abendveranstaltungen mit
einem noch größeren Prestige wieder auf. In seiner neuen Dienstwohnung
geht das Dienstzimmer des Direktor direkt auf den Saal der
Pastellzeichnungen, welcher kurz vorher von Deruelle neu ausgestattet
worden war. Kurzerhand wurde er jeden Freitag in der Fastenzeit für
die Soireen des Hausherren annektiert, was von gewissen Chronisten und
Journalisten der Zeit als großer Skandal empfunden wurde.
Der Verlauf eines Vendredi au Louvre wurde
wiederholt von seinen Besuchern beschrieben: Die Veranstaltung beginnt
früh, schon um 19 Uhr und endet früh, gegen 23 Uhr. Graf de
Nieuwerkerke empfängt die Gaste persönlich mit größter Zuvorkommenheit,
wie es Le Ménestrel vom 10. März 1864 beschreibt. Er begrüßt
jeden Gast mit einem herzlichen Händedruck. Seine so persönliche
Freundlichkeit wird von allen als besonders angenehm und kostbar
empfunden. Biard zeigt ihn in dieser Situation auf seinem Bild "Ein
Abend im Louvre beim Gralen Nieuwerkerke" (1855), auf dem er dem allzu
früh verstorbenen Architekten Visconti die Hand schüttelt. Das Gemälde
wird im Musée national du Second Empire in Compiègne
aufbewahrt.
Man trifft
auf diesen Louvre-Abenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens,
aber auch die Vertreter der Künste, der Literatur und der
Wissenschaften. Es ist eine ausschließlich männliche Welt, zu der
ausnahmsweise seit 1858 Künstlerinnen, Instrumentalistinnen oder
Sängerinnen als einzige Vertreterinnen ihres Geschlechts zugelassen
sind. Gegen 10 Uhr setzt sich M. Pasdeloup, welcher der Impresario des
Ortes ist, ans Klavier. Der Graf von Nieuwerkerke (sic) begibt sich
vor das Publikum und bittet um strengste Ruhe mit einer alles
beherrschenden, last religiösen Autorität vor den Künsten. Das
musikalische Programm des Abends wird immer als kurz aber von hoher
Qualität beschrieben. Es ist - wie es Le Ménestrel vom 22 März
1863 vermerkt - eher ein musikalisches Zwischenspiel, während dessen
die Konversation ruhen kann, ais ein wirkliches Konzert, das eine
Pause braucht, um sich von der Musik zu erholen. Oft gibt der
Gastgeber das Zeichen für den Applaus. Nach jedem der Stücke bieten
die Gespräche, das Lustwandeln und das Büffet willkommene
Unterbrechung. Die Bewirtung besteht ohne Zweifel aus mehr ais den
drei Flaschen Sirup, der Brioche und den zwei Pfund Gebäck und Tee,
die der mürrische Viel-Castel in seinen Erinnerungen erwähnt.
Der Abend geht häufig über in eine Art Nachsitzung für einen kleinen
Kreis Privilegierter, während der der Maler Charles Giraud Karikaturen
der Vertrauten des Hausherrn anfertigt.
Der Gastgeber
behauptet stets, nur ein aufgeklärter Amateur zu sein: "Ich liebe die
Musik, bin aber kein Musiker." sagt er gern von sich selbst. Dennoch
wenden sich zahlreiche Künstler an ihn, um seine Protektion zu
erbitten. Mit unverbrüchlicher Treue unterstützt er
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Théodore Ritter,
Ernest Reyer und Jules Cohen, den späteren musikalischen Leiter des
Chors der Tuilerien. Er gehört ebenfalls zu den geladenen Ehrengasten
bei einer der Erstaufführungen der Troyens von Berlioz 1858.
Seit den Anfängen der Vendredis du Louvre lässt Jules Pasdeloup
(1819-1887) junge Schüler des Konservatoriums auftreten. So hört man
dort den jungen Bizet, den sein Lehrer Marmontel vorstellt, bei einem
Auftritt im Dezember 1852. Pasdeloup, der ein glänzender Pianist war,
konnte einige seiner eigenen Kompositionen vortragen, etwa Aurore,
einen Konzertwalzer, den er ganz in jenem oberflächlichen und auf
Glanz bedachten Geschmack der Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben
hat.

Pasdeloup lädt
aber auch die grössten Namen der Epoche ein: Tolbecque, Roger, Duprez,
Lefébure-Wély oder Mme Norman-Neruda, der Nieuwerkerke an den
Konzertabenden im Louvre seinen Wagen schickt. Gounod erscheint
regelmässig, kommentiert manches Werk des Programms und begleitet
gelegentlich selbst einige seiner Lieder. Auf jeder seiner
Frankreichtourneen wird der Klaviervirtuose Jacques Blumenthal (1829 -
1908) in den Salons des Louvre empfangen, wo er mehrere eigene
Kompositionen uraufführt. Das Grand Trio, welches 1853 in Paris
zu einer Zeit veröffentlicht wurde, in der Jacques Blumental plante
nach Paris zurückzukehren, wurde damals wahrscheinlich im Louvre
aufgeführt.
Wie bei den
bekannten "Concerts populaires" - Volkstümlichen Konzerten - ,
für die er ab 1861 verantwortlich zeichnet, beweist Pasdeloup oft Mut
bei den Programmen, die er im Louvre organisiert. 1851 stellt er den
Gasten ein neues Instrument vor, das Saxophon. Regelmässig hört man
dort auch die Melodium-Orgel des Instrumentenbauers Alexandre, ein
kleines Harmonium für den Salon, das gegen 1845 entwickelt wurde und
das als Solo instrument oder in Kammermusik-Formationen eingesetzt
werden konnte.
Für dieses
neue Instrument schrieb der junge Jules Cohen 1855 seine Six Etudes
expressives, die er Nieuwerkerke widmet und die er selbst am 1.
Februar 1856 interpretiert. Cohen tritt regelmässig auf, sei es am
Klavier oder an der Melodium-Orgel, einem Instrument, für das er auch
das Trio sur un Canzone de Stradella nach einer Bearbeitung
seines Lehrers Fromenthal Halévy komponiert. Im März 1866 führt
Georges Bizet mehrere seiner Kompositionen im Louvre auf. Gegen Ende
der Sechziger Jahre übernimmt Camille Saint-Saëns (1835-1921), damals
auf dem Höhepunkt seiner pianistischen Laufbahn, regelmässig das
Klavier und spielt im Duo mit dem Geiger Sarasate. Saint-Saëns wurde
ohne Zweifel mit der Unterstützung von Nieuwerkerke bei der Prinzessin
Mathilde eingeführt. Er widmet ihr 1864 seine Sérénade für
Klavier, Geige, Cello und Melodium-Orgel.
Pasdeloup
ist begeisterter Liebhaber der deutschen Musik. Ihr widmet er einen
grossen Teil der Konzerte der von ihm 1852 gegründeten "Société des
jeunes artistes" - Gesellschaft der jungen Künstler - , deren Vorsitz
Nieuwerkerke 1855 übernimmt. Dort lässt Pasdeloup zur damaligen Zeit
noch ziemlich unbekannte Stücke wie die Haydn Quartette, das Beethoven
Septett und die Sonate für Cello und Klavier von
Mendelsohn aufführen, die im April von Piatti und Saint-Saëns
dargeboten werden. Pasdeloup stellt für die Salons der Prinzessin
Mathilde und des Baron Haussmann, welche er ebenfalls betreute,
ziemlich identische Programme zusammen. lm März 1862 stellt der
Journalist der Allgemeinen musikalischen Zeitung von Leipzig
mit Erstaunen die beispiellose Mode der deutschen Musik in Paris nicht
nur bei volkstümlichen Konzerten sondern auch bei den wichtigsten
Konzerten und privaten Soireen fest. Pasdeloup konnte - gestärkt durch
die Unterstützung der Grafen von Nieuwerkerke - eine veritable
deutsche Mode ins Leben rufen, die den Geschmack für die italienische
Musik ablöste.
Durch den
Willen seines Direktors wird der Louvre während des ganzen Zweiten
Kaiserreichs als eine Konzertbühne, die ebenso von Künstlern als auch
Musikliebhabern über zwanzig Jahre hinweg als einer der wichtigsten
Mittelpunkte musikalischen Wirkens in Frankreich geschätzt wird und
die so die Erneuerung der französischen Kammermusik nach 1870
ankündigt.
Überzetzung: Edmond Roth
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